Denn eine formularmäßige Zins- bzw. Zinsanpassungsklausel wie hier hält einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGB-Gesetz nur stand, wenn ihr zumindest im Wege der Auslegung auch die Verpflichtung der Bank zu einer Herabsetzung von Zinsen für den Fall zu entnehmen ist, dass das Zinsniveau sinkt und sich demzufolge die Refinanzierungskonditionen der Bank verbessern (vgl. BGH WM 86, 580, 581).

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Oberlandesgericht Celle

Urteil vom 24.10.1990

3 U 240/89

 

Wegen Rückforderung überzahlter Zinsen

 

Für Zinsanpassungen, die nach billigem Ermessen zu treffen sind, ist allein maßgebend, auf welcher Grundlage die Parteien bei Vertragsabschluss erkennbar den ursprünglichen Zinssatz festgelegt haben. Sind die Parteien von einem um 1%-Punkt erhöhten Durchschnittszinssatz für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen ausgegangen, erfolgt die Leistungsbestimmung in der konsequenten Fortschreibung dieser ursprünglichen Zinsgestaltung anhand des Durchschnittszinssatzes.

Zur Frage, in welchen Zeitabständen und bei welchen Zinssprüngen im Rahmen der Billigkeit eine Zinsanpassung geboten sein kann.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist größtenteils begründet. Das Landgericht hat die auf Zinsrückzahlung gerichtete Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB die Rückerstattung von gezahlten, aber nicht geschuldeten Zinsen in Höhe von ……DM verlangen. Unter Berücksichtigung der zwischen den Parteien individuell getroffenen Zinsanpassungsregelung wäre die Beklagte genötigt gewesen, von sich aus gem. § 315 BGB die für das der Klägerin gewährte Darlehen maßgebenden Zinsen mehrfach den geänderten Kapitalmarktverhältnissen anzupassen. Da sie dem nicht nachgekommen ist, hat der Senat im Rahmen der hier erhobenen Leistungsklage (und nicht etwa gesondert aufgrund einer vorzuschaltenden Gestaltungsklage – vgl. dazu BGHZ 41, 271, 280) die Zinsanpassung gem. § 315 Abs. 3 BGB nach billigem Ermessen selbst vorzunehmen. Die Differenz zwischen den danach geschuldeten und den tatsächlich gezahlten Zinsen entspricht der ausgeurteilten Klageforderung.

  1. Die grundsätzliche Notwendigkeit zur Zinsanpassung sowie deren Einzelheiten folgen allerdings nicht aus irgendwelchen vorherigen oder nachträglichen mündlichen Absprachen der Parteien – diese sind, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht bewiesen -, sondern allein schon aus den konkreten Umständen des Kreditvertrages und der von den Parteien unstreitig vereinbarten schriftlichen Zinsanpassungsklauseln, die folgenden Wortlaut hat:

„Die Bank ist berechtigt, den Zinssatz zu ändern, wenn sie dies (z. B. wegen der Entwicklung am Geld- oder Kapitalmarkt) für erforderlich hält; sie wird Zinssatzänderungen bekanntgeben.“

Ergänzt wird diese darlehensvertragliche Regelung durch die im Schreiben der Beklagten vom 08.08.1985 enthaltene Erklärung, „Die Konditionen belaufen sich im Zinsbereich auf 8,875 % p. a. variabel.“

Schon diese unzweifelhaft getroffenen schriftlichen Vereinbarungen nötigten die Beklagte gem. § 315 BGB grundsätzlich zu Zinsanpassungen entsprechend den jeweiligen Kapitalmarktbedingungen. Denn eine formularmäßige Zins- bzw. Zinsanpassungsklausel wie hier hält einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGB-Gesetz nur stand, wenn ihr zumindest im Wege der Auslegung auch die Verpflichtung der Bank zu einer Herabsetzung von Zinsen für den Fall zu entnehmen ist, dass das Zinsniveau sinkt und sich demzufolge die Refinanzierungskonditionen der Bank verbessern (vgl. BGH WM 86, 580, 581); nach der übereinstimmenden und auch zutreffenden Auffassung beider Parteien ist die hier fragliche Klausel genau in diesem Sinne zu verstehen. Dann aber war die Beklagte auch ohne weitergehende mündliche Abreden zu Zinsanpassungen grundsätzlich verpflichtet.

  1. Tatsächlich hat die Beklagte während des hier fraglichen Zeitraums vom 01.01.1986 bis zum 31.08.1987 trotz allgemeiner und offenkundiger Senkung der verschiedensten Kapitalmarktzinsen Zinsanpassungen für den der Klägerin gewährten Kredit nicht vorgenommen. So sanken in dieser Zeit z. B. ausweislich der Monatsberichte der Deutschen Bundesbank
  • der Diskontsatz von 4 % auf 3 %
  • der Lombardsatz von 5,5 % auf 5 %
  • der Durchschnittszinssatz für Kontokorrentkredite unter 1 Mio. DM von 9,1 % auf 8,28 %
  • der Durchschnittszinssatz für Wechseldiskontkredite von 5,54 % auf 4,51 %
  • der Durchschnittszinssatz für Ratenkredite von 0,39 % p. M. auf 0,35 % p. M.
  • der Darlehenszinssatz für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen von 7,33 % auf 6,32 %.

Bereits diese Änderungen des allgemeinen Zinsniveaus legen es nahe, dass das Festhalten der Beklagten an dem mit Vertragsschluss anfangs vereinbarten variablen Zins von 8,875 % unbillig i. s. d. § 315 BGB war. Erst recht gilt dies unter Berücksichtigung der individuellen Zinsgestaltungsprinzipien, die der ursprünglichen Zinsvereinbarung der Parteien erkennbar zugrunde lagen.

  1. Ordnet man den im Darlehensvertrag vom 26.08.1985 vereinbarten Darlehenszinssatz von 8,875 % in die damaligen Zinsverhältnisse des Kapitalmarktes ein, dann kann aus mehreren Gründen kein Zweifel daran besten, dass sich die Parteien bei der Festlegung des hier einschlägigen Zinssatzes grundsätzlich an den Durchschnittszinssatz für Hypothekarkredite auf Wohngrundtücke zu Gleitzinsen angelehnt und dem individuellen Kreditrisiko, das angeblich mit der Ausleihung an die Klägerin verbunden war, durch einen Zuschlag von 1 %-Punkt Rechnung getragen haben.
    1. Der hier von den Parteien im August 1985 (der entsprechende Zins für August 1985 lag im August noch nicht vor) tatsächlich vereinbarte variable Zins von 8,875 % entsprach unter Abzug des 1%igen individuellen Risikozuschlags nahezu exakt dem seinerzeit aktuellen Durchschnittszinssatz für die vorgenannte Hypothekarkreditart per Juli 1985 (der entsprechende Zins für August 1985 lag im August noch nicht vor). In den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ist dieser Durchschnittszinssatz mit 7,88 % p. a. angegeben.
    2. Dass der maßgebende Anfangszins auf der Grundlage des Zinssatzes für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücken zu Gleitzinsen unter Einbeziehung eines 1%igen individuellen Risikozuschlages gebildet wurde, hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 17.02.1989 selbst mit folgenden Worten eingeräumt (vgl. S. 7 der Klageerwiderung – b. 35 GA):
      „Es ist ein variabler Zinssatz vereinbart, so dass sich der Ermessensspielraum im Rahmen des § 315 BGB nach den Angaben in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank unter v. 7 Soll- und Habenzinsen, Hypothekarkredite auf Wohnungsgrundstücken zu Gleitzinsen ergibt. … Die Klägerin hat dabei zugestanden, dass sich aufgrund der vorliegenden Vereinbarung des Kredites im August 1985 der sich aus den Monatsberichten ergebende Zinssatz um 1 % erhöht“.

      Wenn die Beklagte in zweiter Instanz, insbesondere in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.10.1990, ausdrücklich bestritten hat, dass für die Zinsgestaltung der um 1%-Punkt erhöhte Zins für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen zugrunde gelegt worden sei, dann setzt sie sich nicht nur in einen eklatanten Widerspruch zu ihrem früheren Vorbringen, sondern bleibt auch die Erläuterung schuldig, was denn sonst Kalkulationsgrundlage für den anfangs vereinbarten Zinssatz gewesen sein könnte. Ihr jetziges Bestreiten besitzt daher – wenn es nicht ohnehin nur rein prozesstaktischen Charakter haben sollte – angesichts der objektiven Umstände und ihrer eigenen früheren Einlassungen keine ausreichende Substanz, um sich prozessentscheidend auswirken zu können.
    3. Abweichend von den eingangs festgestellten Zinsgestaltungsgrundlagen hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung lediglich geltend gemacht, dass nicht der Durchschnittszinssatz, sondern die in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ebenfalls aufgeführte Streubreite des Zinssatzes für die fragliche Hypothekarkreditart maßgebend gewesen sei. Dies sieht der Senat indessen aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme als widerlegt an. Dort hat der Zeuge überzeugend erklärt, dass er „den Begriff Streubreite… erst aus den Schriftsätzen“ des vorliegenden Prozesses entnommen habe. Auch die von der Beklagten benannten Zeugen … und … haben mit ihren Aussagen nicht den geringsten Anhalt dafür geliefert, dass der ursprünglichen Zinsvereinbarung nicht ein bestimmter Durchschnittszins, sonder eine Zinsstreubreite zugrunde gelegen habe. Da sich die konkrete Zinsfestsetzung nahezu exakt auf der Grundlage des Durchschnittszinses errechnen lässt, hat der Senat unter Würdigung aller Umstände keinen Zweifel, dass die Parteien bei Abschluss des Vertrages von der Maßgeblichkeit eines variable Durchschnittszinses und nicht einer variablen Streubreite ausgegangen sind.
    4. Ob der an die Klägerin konkret herausgelegte Kredit aus heutiger Sicht nun tatsächlich banktechnisch als ein Hypothekarkredit auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen einzuordnen ist oder ob er – wie die Beklagte jetzt meint – eher einem Kontokorrentkredit ähnelt, ist entscheidungsunerheblich. Maßgebend ist allein, auf welcher Grundlage die Parteien bei Vertragsabschluss erkennbar den ursprünglichen Zinssatz festgelegt haben. Diese Festlegung, mag sie nun Vertragsinhalt, Vertragsgrundlage oder auch nur Kalkulationsgrundlage geworden sein, war und ist für alle Zinsanpassungen, die nach billigem Ermessen zu treffen sind, allein maßgebend.
  2. Sind die Parteien bei ihrer ursprünglichen Zinsfestlegung im August 1985 von dem um 1 %-Punkt erhöhten Durchschnittszinssatz für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen ausgegangen, bewegt sich eine Leistungsbestimmung nur dann innerhalb des nach § 315 BGB maßgebenden billigen Ermessens, wenn sie diese ursprüngliche Zinsgestaltung anhand des Durchschnittszinssatzes konsequent fortschreibt.
    Allenfass dann, wenn sich die allgemeinen Kapitalmarktänderungen, die sich im Durchschnittszinssatz widerspiegeln, nicht gleichzeitig in einer Änderung der individuellen Refinanzierungsmöglichkeiten der Beklagten niedergeschlagen hätten, könnte dies anders zu beurteilen sein. Indessen fehlt es insoweit an substantiierten Darlegungen seitens der darlegungspflichtigen Beklagten (vgl. zur Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 315 BGB: BGHZ 41, 271, 279; BGHZ 97, 212,223; Staudinger/Mayer-Maly, BGB, § 315, Anm. 78). Die gem. § 315 BGB nach billigem Ermessen zu treffende Leistungsbestimmung war und blieb deshalb an den – um 1 %-Punkt erhöhten – durchschnittlichen Zinssatz für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen gebunden.
  3. Allerdings konnte von der Beklagten im Rahmen der hier gem. § 315 BGB maßgebenden Billigkeit nicht erwartet werden, dass sie die Zinsen jeweils monatlich anpasste; das wäre nicht nur unpraktikabel und mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden gewesen, sondern würde der Beklagten jede auch nur kurzfristige Zins- und Gewinnkalkulation unverhältnismäßig erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht haben. Nach Auffassung des Senats war es aber unter Billigkeitsgesichtspunkten allemal geboten, die Zinsen quartalsweise den Änderungen des Kapitalmarktes anzupassen, und zwar – jedenfalls solange und soweit für die Beklagte keine schlechteren (hier aber gerade nicht dargelegten) Refinanzierungsmöglichkeiten galten – jeweils entsprechend dem relevanten Zinssatz, der in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank für den letzten Vorquartalsmonat mitgeteilt worden war. Da die Beklagte laut Darlehensvertrag vom 26.08.1985 die Zinsen ohnehin monatlich nachträglich erhob, war es ihr auch faktisch möglich, jeweils am Ende eines neuen Quartalsmonats anhand des für diesen Monat mittlerweile erschienenen Monatsberichts der Deutschen Bundesbank den jeweils relevanten Zinssatz per Vormonatsende festzustellen.
  4. Da die Leistungsbestimmung gem. § 315 BGB nach billigem Ermessen zu treffen war, brauchte sie – abgesehen von der vorstehend dargelegten quartalsmäßigen Periodizität – nicht jeder auch noch so geringfügigen Zinsänderung zu folgen. Im Hinblick auf den hier vorliegenden Kreditvertrag und die dazu individuell getroffene Zinsregelung sieht es der Senat jedoch als billig an, dass Zinsanpassungen schon bei Zinsänderungen von wenigstens 0,2 %-Punkten vorgenommen werden mussten. Maßgebend ist dafür zunächst die Höhe des Kredits (450.000,- DM), bei der sich selbst geringfügige Zinskorrekturen in spürbaren absoluten Beträgen auswirken. Hinzu kommt, dass die Parteien in ihrem ursprünglichen Vertrag die Zinsen bis auf die 3. Stelle nach dem Komma festgelegt und damit gezeigt haben, welche Bedeutung sie selbst auch tausendstel Prozentpunkten beigemessen haben. Vor diesem Hintergrund sind Zinssprünge von 2/10 Prozentpunkte durchaus als wesentlich und damit billigerweise eine entsprechende Zinsanpassung auslösend einzustufen.
  5. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ergibt sich hier auf das ausgeliehene Kapital von 450.000 DM für die umstrittene Zeit vom 01.01.1986 bis zum 31.08.1987 folgende billigem Ermessen im Sinne des § 315 BGB entsprechende Zinsberechnung:

Zeitraum

Durchschnittszinssatz

für Hypothekarkred-

dite auf Wohngrund-

stücken zu Gleit-

zinsen

zzgl. 1%-Punkt

Risikozu-

schlag

Zinsbetrag in DM

01.01.-31.03.86

per Dez. 85: 7,37 %

8,37 %

9.416,25

01.04.-30.06.86

per März 86: 7,01 %

8,01 %

9.011,25

01.07.86-31.03.87

per Juni 86: 6,8 %

7,8 %

26.325,00

01.04.-30.06.87

per März 87: 6,45 %

7,45 %

8.381,25

01.07.-31.08.87

per Juni 87: 6,16 %

7,16 %

5.370,00

     

58.503,75

In der vorstehenden Tabelle ist für die Zeit vom 01.07.86 bis zum 31.03.87 nach einem einheitlichen Zinssatz abgerechnet worden, weil es innerhalb dieses Zeitraums für Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke zu Gleitzinsen nur zu Zinsänderungen von unter 0,2 %-Punkten gekommen ist; derartig geringfügige Zinsänderungen sind nach den obigen Darlegung unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht geeignet, eine Notwendigkeit für Zinsanpassungen im Sinne des § 315 BGB zu begründen.

Insgesamt hätte die Klägerin also bei billiger Zinsbestimmung i. s. d. § 315 BGB in der Zeit vom 01.01.1986 bis zum 31.08.1987 Zinsen in Höhe von 58.503,75 DM geschuldet. Tatsächlich hat sie in diesem Zeitraum jedoch 8,875 % auf 450.000 DM gezahlt, mithin 66.562,50 DM (450.000 DM x 8,875 % p. a.: 12 x 20). Zu ihren Gunsten besteht also eine Differenz von 8.058,75 DM.

III. Die von der Klägerin hier im Berufungsverfahren klagweise geltend gemachte Rückzahlungsforderung in Höhe von 8.227,50 DM ist also bis auf 168,75 DM begründet. Dies ist unter Abänderung des angefochtenen Urteils mit den Nebenentscheidungen aus den §§ 91, 92 Abs. 1 und 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO auszusprechen.

Für die Zulassung der Revision liegen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor. Dass eine Zinsanpassungsklausel der vorliegenden Art auch zu Zinssenkungen verpflichten kann und sie insgesamt dem § 315 BGB unterfällt, ist vom Bundesgerichtshof in der oben zitierten Entscheidung bereits grundlegend entschieden. Was nun im Einzelfall mit Rücksicht auf die dort geltenden vertraglichen Besonderheiten billigem Ermessen entspricht, ist weitgehend eine Frage tatrichterlicher Überzeugung und nicht von grundlegender Bedeutung i. S. d. § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.