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BGH Urteil vom 11.07.1995 Az: XI ZR 28/95


Berechnung der anteiligen Disagioerstattung bei vorzeitiger Rückzahlung eines Darlehens mit Zinsfestschreibung für bestimmte Zeit

 

Bei der anteiligen Erstattung eines Disagios wegen vorzeitiger Darlehensrückzahlung (hier: nach Ablauf der fünfjährigen Zinsfestschreibung bei einer Darlehensgesamtlaufzeit von zehn Jahren) ist der Berechnung des zu erstattenden Betrags regelmäßig nicht die Gesamtlaufzeit des Darlehens, sondern nur die Zeit zugrunde zu legen, für die ein fester Zins vereinbart ist.


Sachverhalt

Die Kläger verlangen von der beklagten Sparkasse anteilige Erstattung eines Dis-agios nach vorzeitiger Darlehensrückzahlung.
Die Beklagte gewährte den Klägern Darlehen von nominal 302.000 DM für die Dauer von zehn Jahren (bis 20. November 1993) mit der Möglichkeit vorzeitiger Tilgung. Die vereinbarten Konditionen sahen eine Auszahlung von 92,5% des Nominalbetrags und einen festen Jahreszins von 6,5% für die ersten fünf Jahre (bis zum 20. November 1988) vor; eine Zinsregelung für die letzten fünf Jahre wurde nicht getroffen. Die Darlehen wurden von den Klägern am 19. Oktober 1988 abgelöst. Als die Kläger danach Erstattung des nicht verbrauchten Disagios forderten, zahlte die Beklagte ihnen 403 DM für die Zeit von der Tilgung bis zum Ablauf der Festzinsvereinbarung. Die Kläger verlangen weitere 10.847 DM, weil bei der Berechnung der Disagioerstattung nicht nur von der Zinsfestschreibungszeit, sondern von der vereinbarten Gesamtlaufzeit der Darlehen auszugehen sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter.

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Januar 1995 aufgehoben. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 10. März 1994 wird zurückgewiesen. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Von Rechts wegen


Entscheidungsgründe


Die - zugelassene - Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Landgerichts.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht WM 1995, 797) ausgeführt, bei einem Darlehensvertrag, der nur für einen Teil der Laufzeit eine Zinsbindung und im übrigen keine vertragliche Zinsregelung enthalte, dürfe die Beklagte gemäß §§ 315, 316 BGB die für die Festzinsperiode geltenden Konditionen für die Restlaufzeit "nur in Anpassung an etwa veränderte Marktverhältnisse fortschreiben". Das Disagio sei anteilig auf die gesamte Laufzeit zu verteilen, selbst wenn sich daraus eine Abweichung der eingeräumten Konditionen vom Marktüblichen ergebe. Eine andere Auslegung sei nur bei greifbaren Anhaltspunkten zulässig, wenn etwa bei den Vertragsverhandlungen Vergleiche mit anderen Angeboten gezogen, Effektivzinsen genannt oder Kalkulationsüberlegungen offen gelegt worden seien; davon sei hier nicht die Rede.

II.

Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts: Die notwendige Vertragsauslegung (vgl. BGHZ 111, 287, 288) ergibt, dass das gesamte Disagio als ein laufzeitabhängiger Teil des Entgelts für die Überlassung der Kapitalnutzung, also als integraler Bestandteil der Zinskalkulation anzusehen ist. Dafür sprechen die Höhe des Auszahlungsdisagios von 7,5%, die deutlich über den bei einer Darlehensgewährung entstehenden laufzeitunabhängigen Kosten liegt, und der im Vergleich zum Marktzins niedrigere Vertragszins (BGHZ aaO S. 292).

2. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht dagegen, soweit es annimmt, mangels greifbarer Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen sei das Disagio grundsätzlich als laufzeitabhängiges Entgelt für die gesamte Darlehenslaufzeit und nicht nur für die Festzinsperiode zu behandeln. Die gegenteilige Auslegung ist vielmehr - hier wie im Regelfall - geboten.

Allerdings hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 12. Oktober 1993 (XI ZR 11/93 = WM 1993, 2003, 2004) das Disagio als Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins während der vorgesehenen Gesamtlaufzeit gewertet. Im damals entschiedenen Falle fehlte es aber an einer Zinsfestschreibung für einen von vornherein bindend festgelegten Zeitraum; der vereinbarte Zinssatz sollte vielmehr, sobald sich die Marktverhältnisse änderten, angepasst werden.

Im vorliegenden Fall einer langfristigen Zinsfestschreibung muss dagegen eine an Treu und Glauben und der Verkehrssitte orientierte Vertragsauslegung (§ 157 BGB) zu einem anderen Ergebnis führen:

a) Die Praxis auf dem Markt für Hypothekarkredite hatte sich vor 1983, dem Zeit-punkt des Vertragsschlusses, gewandelt: Während früher dem Bankkunden der Vorteil eines niedrigeren Nominalzinses, der mit der Hinnahme eines Auszahlungsdisagios erkauft wurde, vereinbarungsgemäß meist während der gesamten Darlehenslaufzeit erhalten blieb, hatte sich 1982 bereits die Übung durchgesetzt, das Disagio nur noch dem Zeitraum der Zinsfestschreibung zuzuordnen (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Januar 1983 S. 24). Dieser Wandlung der Marktpraxis hatte die Bundesbank schon seit Juni 1982 in ihrer Zinsstatistik Rechnung getragen (Monats-
bericht aaO).

Auch die Rechtsprechung ist bereits mehrfach bei später geschlossenen Kreditverträgen mit zeitlich begrenzter Zinsfestschreibung und Disagiovereinbarung von dieser gewandelten Marktpraxis ausgegangen und hat das Disagio nur dem Zinsfestschreibungszeitraum zugeordnet (vgl. BGHZ 117, 287, 289; OLG Köln EWiR § 609 a BGB 1/93, 27 mit Anm. von Reifner, der grundsätzlich zustimmt und auch, wenn die Bank zur Fortsetzung des Vertrages nach Ablauf der Zinsfestschreibungsperiode verpflichtet ist, nur in Ausnahmefällen den Vorteil des Disagios bei der neuen Zinsfestsetzung noch fortwirken lassen will).


b) Im vorliegenden Fall führt nur eine an der üblichen Vertragspraxis orientierte Auslegung zu einem interessengerechten Ergebnis; die abweichende Auffassung des Berufungsgerichts unterstellt der Beklagten dagegen eine marktferne Zinskalkulation:


Im November 1983 betrug der durchschnittliche Effektivzinssatz für Hypothekarkredite mit einer Zinsfestschreibung auf fünf Jahre 9,23% bei einer Streubreite von 8,59% bis 9,72% (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Dezember 1983 Statistischer Teil S. 52). Nach der eigenen, nicht bestrittenen Berechnung der Kläger ergibt sich hier, wenn man das vereinbarte Disagio von 7,5% nur der Zinsbindungszeit, den ersten fünf Jahren also, zuordnet, ein effektiver Jahreszins von 8,62%; er liegt also bereits an der unteren Grenze der Streubreite. Wollte man das Disagio dagegen, der Auffassung des Berufungsgerichts folgend, auf die Gesamtlaufzeit von zehn Jahren verteilen, so beliefe sich der Effektivzins unstreitig nur auf 7,6%. Der Beklagten kann nicht unterstellt werden, dass sie einen so marktfernen Zinssatz vereinbaren wollte. Davon durften ohne besondere Anhaltspunkte in den Vertragsverhandlungen auch die Kläger nicht ausgehen.


Da weitere Feststellungen nicht mehr erforderlich sind, konnte der Senat nach § 565 Abs. 3 ZPO selbst entscheiden und das landgerichtliche Urteil wiederherstellen.